Dass der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist, beten Politiker und Medien ebenso herunter, wie die Interessenvertreter dieser Unternehmensgruppe. Dabei fällt es den Betrieben immer schwerer, passende Führungskräfte zu finden. Zwar ist das nicht nur im Mittelstand so, wird dort aber stärker deutlich. Bleibt in einem Großkonzern eine Position im gehobenen Management längere Zeit unbesetzt, kann das leichter aufgefangen werden als in einem Unternehmen mit 500 Mitarbeitern oder weniger.
Über 42% der HR-Manager im Mittelstand beklagten, dass sie oft mehr als 6 Monate für eine erfolgreiche Neubesetzung bräuchten. Für die Bewerber sind namhafte Großkonzerne – etwa aus der Automobilbranche – gerade beim Eintritt in den Arbeitsmarkt attraktiver. Das, so sagt Consultant Thomas Bockholdt gegenüber dem Manager Magazin, liegt in erster Linie daran, dass mittelständische Unternehmen unbekannter sind.
Nicht von ungefähr führte Wirtschaftsprofessor Hermann Simon den Begriff der Hidden Champions in die betriebswirtschaftliche Diskussion ein. Gemeint sind Unternehmen mit über 50 Millionen Euro Umsatz und mehr als 500 Mitarbeitern, die in ihrer Nische zu den Weltmarktführern zählen. Allerdings sind sie in der Regel inhabergeführt und nicht börsennotiert, weshalb sie in der Öffentlichkeit nicht auftauchen.
Laut Bockholdt sollten mittelständische Unternehmen ihre Stärken in den Vordergrund stellen: „Langfristige Geschäftsmodelle, dadurch recht große Sicherheit, aber auch kurze Entscheidungswege, unternehmerische Aufgabenstellungen, persönlicheres Arbeitsumfeld. Das interessiert die meisten Uni-Absolventen.“ Was Bockholdt hier anspricht ist klassisches Employer Branding, das neben einem professionellen Rekrutierungsprozess inzwischen für Unternehmen jedweder Größe unabdingbar ist.
Es geht darum, sich authentisch zu präsentieren. Denn Fehler bei der Besetzung insbesondere einer Führungskraft sind sehr teuer. Das Unternehmen investiert bei der Suche und der Anstellung nicht nur Zeit und Geld, sondern riskiert durch eine unpassende Besetzung auch die Motivation der Mitarbeiter. Deshalb empfiehlt es sich, lieber etwas mehr Zeit in die Rekrutierung und auch ins Employer Branding zu investieren, um eine wirklich passende Führungskraft zu finden.
Generell wechseln Führungskräfte im Mittelstand derzeit zu häufig. Ein Erfolgskriterium ist ein guter persönlicher Draht zum Inhaber. Ist der nicht gegeben, gehen in 30 % der Fälle Unternehmen und Führungskraft wieder getrennte Wege. Neben den Kosten führt das auch zu fehlender strategischer Kontinuität, was den Erfolg des gesamten Unternehmens aufs Spiel setzt.
Die gute Nachricht ist, dass inzwischen knapp ein Fünftel aller Mittelständler von Frauen geführt werden. Damit liegt der Prozentsatz deutlich über dem von börsennotierten Unternehmen. Hier liegen die 30 Dax-Konzerne mit 11 Prozent noch an der Spitze. Mit dem Vormarsch der Frauen halten auch Soft Skills Einzug in die Chefetagen der Mittelständler und gewinnen immer mehr an Bedeutung für Führungskräfte.
Die drei wichtigsten Erwartungen an Führungskräfte sind laut der Boyden-Studie „Recruiting 2020“ Offenheit/Sensibilität, Anpassungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Allerdings sollte daraus nicht geschlossen werden, dass nun im Management gekuschelt wird. Die entscheidenden Bewertungskriterien für Führungskräfte sind auch im Mittelstand weiterhin Umsatz und Gewinn. Nur so können die Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bleiben.